BILDHAUEREI BEDEUTET MIT MATERIAL DENKEN
von Axel Kreiser
Bildhauerei ist eine Disziplin die es schon sehr lange gibt. Die ältesten Zeugnisse der Menschheit sind oft bildhauerische Ergebnisse und weisen auf eine Urfrage zurück: Was soll aus Material werden?
Obwohl es eine Jahrtausende währende Praxis im Umgang mit Material gibt, kann man heute nicht sagen, dass allgemein ein hohes Verständnis für Bildhauerei existiert. Das ist irgendwie erstaunlich.
Es ist eine recht banale Feststellung, dass es nicht nichts gibt, sondern sehr viel. Sobald ein Mensch die Welt betritt stellt er fest, diese Welt ist voll mit Gegenständen. Ein sehr treffendes Wort, das Wort Gegenstand. Viel besser als Ding oder Sache oder gar Werk. Warum?
Das Wort Gegenstand beschreibt die einfachste Beziehung. Da ist etwas das mir gegenüber steht. Ziemlich harmlos, etwas rennt nicht weg, es ist nur da. Könnte es so angefangen haben? Wie konnte ein erster Mensch begreifen, dass Gegenstände sinnvoll sind und sie echte Erkenntnisse ermöglichen?
Die Welt am Anfang, verglichen mit der heutigen, war leer und unbehaust. Unvorstellbar viele Dinge gab es zu jener Zeit gar nicht. Noch nicht, obwohl alles Material welches man benötigt alle Dinge herzustellen, längst vorhanden ist. Es gibt keine Techniken, es gibt keine Werkzeuge.
Vorgestellt, jemand geht ohne Hast durch eine Landschaft. Vorgestellt, urplötzlich verharrt dieser Jemand vor einem einzelnen Felsen unweit eines Baumes. Ist es die Größe oder die Farbe des Steins, ist es das günstige Licht des späten Nachmittags oder ist es, weil der Baum in gemessenem Abstand zum Felsen sich angenehm verhält, was diesen ersten Menschen anhalten und zum Betrachter werden lässt? Niemand weiß es. Nach einer kurzen Weile schon verlässt der Vorfahre den Ort. Der Zufall will es, dass einige Tage später dieser erste Betrachter noch einmal vorbeischlendert und erneut stehen bleibt, ausharrt. Der Stein gefällt ihm, so wie ihm das Gesicht eines Menschen gefällt, dass er gerne ansieht.
Und nun begreift dieser unbekannte Betrachter, diese unbekannte Betrachterin, der Fels bleibt. Er vergeht nicht wie das Gesicht in Gefühlen oder Launen oder Sterblichkeit. Jeden Tag zeigt der Fels das Gleiche oder fast Gleiche.
Da ist das Licht oder der Regen oder die eigenen Gedanken, die den Felsen anders sein lassen. Trotzdem, der Fels selbst, ist in einer ungewissen Welt nun eine Gewissheit. Verlässlich steht er in der Gegend und wird seinen ersten Betrachter überdauern.
Es ist klar, dass dies ein Märchen ist. Auch Felsen trotzen nicht ewig der Zeit. Schon der Wille den Stein wegzuholen oder ein Erdbeben genügen und diese scheinbar stabile Situation ist verloren.
Die eigentliche Entdeckung ist auch nicht der Felsen, die eigentliche Entdeckung ist die menschliche Handlung einfach zu betrachten. Es ist wahrscheinlich, dass vorher das Wetter, andere Stämme, Tiere beobachtet, also auf Veränderungen hin untersucht wurden.
Betrachtung jedoch meint etwas ganz anderes als beobachten, es will die Versenkung in eine einzelne Sache. Es ist der Versuch zu Bewahrheiten was ist und andauert. Alle Gegenstände, so sie nicht theoretischer Natur sind, sind aus Material, haben eine Form und befinden sich in einem Raum. Auch das erscheint banal, doch es sind eben dies die fundamentalen Kategorien, mit denen jeder Bildhauer in jeweils eigener Weise hantiert. Die meisten Dinge in der heutigen modernen Welt, verdanken ihre Existenz vor allem dem Streben nach Nützlichkeit. Etwas ist gemacht um etwas anderes zu bewirken. Ein Messer soll schneiden, ein Schuh soll den Fuß schützen, ein Auto soll einen anstrengungslos von hier nach dort befördern.
Es gibt ständig immer Neues zu sehen, gleichzeitig ist da immer weniger, das für eine Betrachtung einnimmt. Es scheint, als ob mit dem immer mehr an Dingen, ihre Wirkung oder ihre Gültigkeit abnimmt.
Dennoch bleibt jener Blick, der den ersten Menschen vor einem Felsen innehalten ließ, die eigentliche, unumstößliche Richtgröße der Bildhauerei.
SCULPTURE MEANS THINKING WITH MATERIAL
by Axel Kreiser
Sculpture is a discipline that has been around for a very long time. The oldest traces of humanity are often sculptural results and point back to a fundamental question: What should material become?
Even though there has been a millennia-long practice in dealing with material, one cannot say today that there is generally a high understanding of sculpture. That's somewhat surprising.
It’s a fairly banal observation that there is not nothing, but a lot. As soon as a person enters the world, they realize that this world is full of objects. A very fitting word, the word object. Much better than thing or item or even work. Why?
The word object describes the simplest relationship. There is something that stands opposite me. Quite harmless, something doesn't run away, it’s just there. Could it have started this way? How could a first person understand that objects are useful and that they enable real insights?
The world at the beginning, compared to today, was empty and uninhabited. An unimaginable number of things didn’t exist at that time. Not yet, even though all the material needed to make all things was already present. There are no techniques, there are no tools.
Imagine, someone is walking leisurely through a landscape. Imagine, suddenly this someone pauses in front of a solitary rock near a tree. Is it the size or the color of the stone, is it the favorable light of late afternoon or is it because the tree, at a measured distance from the rock, behaves pleasantly, which makes this first person stop and become a viewer? Nobody knows. After a short while, the ancestor leaves the place. By chance, a few days later, this first viewer strolls by again and stops again, lingers. The stone pleases them, just as the face of a person they like to look at pleases them.
And now this unknown viewer, realizes the rock remains. It doesn't fade like a face in emotions or moods or mortality. Every day, the rock shows the same or almost the same.
There’s the light or the rain or the person’s own thoughts that make the rock seem different. Still, the rock itself is now a certainty in an uncertain world. It reliably stands in the area and will outlast its first viewer.
It's clear that this is a fairy tale. Even rocks don't defy time forever. The will to remove the stone or an earthquake is enough and this seemingly stable situation is lost.
The real discovery isn't the rock, the real discovery is the human action of simply viewing. It's likely that before this, the weather, other tribes, and animals were observed, meaning examined for changes.
However, viewing means something entirely different than observing, it seeks immersion in a single matter. It’s the attempt to verify what is and persists. All objects, as long as they are not theoretical in nature, are made of material, have a form, and are situated in space. This also seems banal, but these are the fundamental categories with which every sculptor works in their own way. Most things in today’s modern world owe their existence mainly to the pursuit of utility. Something is made to achieve something else. A knife should cut, a shoe should protect the foot, a car should transport one from here to there effortlessly.
There is always something new to see, at the same time there is increasingly less that captures the attention for contemplation. It seems as if, with more and more things, their effect or validity decreases.
Nevertheless, that gaze which made the first person pause in front of a rock remains the true, irrefutable guiding principle of sculpture.