ICH WILL EINE RUNDE SACHE

Ein Gespräch mit Axel Kreiser, anlässlich der Ausstellung in der Galerie#23 Langenberg im August 2019


Alle Deine Skulpturen sind aus Abschnitten von Stahlrohren gemacht. Warum, was ist Dir dabei wichtig?

Als ich anfing, Rohre in Segmente zu unterteilen und aufzuschneiden, war ich mir keineswegs sicher, ob dieses Neuzusammensetzen unterschiedlicher Teile, sich nicht schnell erschöpfen würde. Ich wusste nicht, ob die falsch zusammengeklebten Puzzelteile, überhaupt ein interessantes Bild ergeben würden. Jede noch so kleine Fläche eines solchen Rohrstückes ist, je nachdem wie man es betrachtet, nach innen oder nach außen gewölbt. Eine sehr banale Sache eigentlich, aber ich erinnerte mich an eine Aussage Rodins, wonach jede Skulptur eine Abfolge konkaver und konvexer Formen sei. Rodin konnte sich Ende des 19 Jahrhunderts nicht vorstellen, dass ein Würfel bereits eine vollwertige Skulptur sein könnte. Ich mochte den Minimalismus immer sehr, aber er erlaubte einfach keine komplexen Formen. Aber komplexe Formen interessierten mich. Mit den Rohren hatte ich einen Weg gefunden, mit einfachen Mitteln Formen zu entwickeln, die mich überraschten.

Wenn Du von Formen sprichst, meinst Du in erster Linie abstrakte Formen?

Ja, oft. Aber ich glaube wir wissen nicht, was abstrakte Formen sind. Eigentlich wissen wir nur was konkrete geometrische Formen sind, also Quader, Zylinder, Kugel. Sonst sprechen wir in Bezügen: Tropfenform, Zapfenform, Pilzform, Kristallform usw. sehr schnell werden Formen unübersichtlich. Wenn eine Kugel etwas gedrückt so eine Art Ei wird, können wir das nur noch schlecht beschreiben. Vielleicht würde man von einer amorphen Form sprechen und spätestens damit feststellen, dass einem die Begriffe endgültig fehlen. Es gibt mehr Formen als Begriffe, mehr seltsame Dinge als Verständnis dafür.

Heißt das, dass Du an einem eigenen Formenvokabular arbeitest?

Nein, eher nicht. Die Rohrstücke sind auch eine Art Einschränkung. Sie bleiben irgendwie verwandt, bleiben in einem bestimmten Sound. Mir gefällt, dass es bei „Tintinnabulum“ eine Symmetrie gibt, sogar der Gegenstand einer Glocke ablesbar ist und bei „Spiel“ dann, an einer bestimmten Stelle, dieses rippenartige wieder auftaucht. Trotzdem sind diese beiden Sachen als Formen ziemlich weit voneinander entfernt.

Gut, Du machst symmetrische und asymmetrische Formen, das unterhält Dich. Warum ist das gerade heute wichtig?

(lacht) Ja, es unterhält mich. Das ist, finde ich, ein legitimer, wichtiger Grund. Nein, mein Gefühl ist, dass solche Arbeiten im Moment niemandem wirklich wichtig scheinen. Es gibt viel Kunst die Konzepte verfolgt oder komplette Räume gestaltet. Eine kleine Form auf einem Sockel, das ist ziemlich oldschool. Ich persönlich aber glaube an eine Aufladung von Material. Wenn jeder Quadratmillimeter wieder und wieder bearbeitet wurde, gibt es zwei mögliche Ergebnisse. Entweder eine Sache ist endgültig todgeküsst oder sie wurde wirklich in eine neue Bedeutung transformiert. Mir jedenfalls, ist beides schon passiert.

Richtig verstehe ich das noch nicht. Gelungene Formen sind für dich also solche, die eine konkrete Bedeutung haben?

Das ist tatsächlich schwierig. Für die allermeisten Menschen meint Bildhauerei, die Bronzefigur auf einem Sockel im Park. Sie stellen sich die Frage nach dem Raum, wenn sie sich einen Parkplatz suchen. Sie stellen sich die Frage nach dem Material, wenn sie eine für die Haut angenehme Unterhose kaufen und sie stellen sich die Frage nach der Form, wenn sie als Paar, über ein Sofa diskutieren. Für mich als Bildhauer, ist Raum, Material, Form jedoch dann am interessantesten, wenn es darum geht eine poetische Qualität zu erreichen. Bei einem Gedicht entsteht aus fünfundzwanzig Wörtern, die gewöhnlich jeder kennt, durch die richtige Setzung eine Gedankenfolge, welche viel weiter trägt, als man es gemeinhin fünfundzwanzig Wörtern zubilligen würde. Das ist es, was ich mit einer Form suche. Fünfundzwanzig Rohrstücke so zu versammeln, dass ein Betrachter betrachtet und sich einer Ahnung hingibt.

Es gibt diese Arbeit „Was bisher geschah“ bei der ein Text untergelegt wurde, was hat es damit auf sich?

Damit habe ich schon früher experimentiert. Bei „Was bisher geschah“ ergab es sich, als ich die Farbe der Stelenform durch Anlassfarben bestimmen wollte, dass ich plötzlich so einen Bronzeton vor mir hatte, wie man ihn von Laternen oder Sarggriffen aus dem Schaufenster des Beerdigungsinstituts kennt. Dann ergab sich dieser innere Monolog und die Präsentation mit dem Nachttischchen, irgendwie fast von alleine. Wenn man Figuration nicht ausschließlich als Abbild des Menschen versteht, sondern den Bezug zum Menschlichen der Figuration hinzuzählte, wäre dies sozusagen eine figurative Arbeit. Doch ich bestehe nicht darauf. Ich will nur verdeutlichen, dass die Beschreibung, „macht abstrakte Formen“ nicht genügt.
Es gab viele formale Gesetzmäßigkeiten, zum Beispiel dass in der Bildhauerei nur der Gegenstand zählt. Das hat sich aufgelöst, heute ist es möglich, dass ein literarischer Text Teil eines Kunstwerks ist. Oder wie Du so schön bemerktest, es unterhält mich. Wenn ich eine Geschichte bekomme, erzähle ich sie.

Das gilt auch für die Titel, wenn ich es richtig verstehe, oder?

Mit Titeln kann man viel falsch machen. Man legt eine Fährte.

Eine Fährte, die zur Bedeutung führt?

Man kann nicht und sollte nicht, den Leuten das Schauen und Bedenken abnehmen. Jedes Kunstwerk ist ja nur ein unverbindliches Angebot, da gibt es nichts einzuklagen, auch keine Bedeutungen. Wenn ich etwas herausgebe aus dem Atelier, glaube ich, dass eine Skulptur genügend Qualitäten aufweist, mit denen zu beschäftigen sich lohnt. Ich will eine runde Sache vorlegen.

Eine runde Sache, die manchmal schroff daherkommt.

Eine überzeugende Sache, weil eine Haltung deutlich wird.

So ist es. Vielen Dank.

I WANT A WELL-ROUNDED THING

A conversation with Axel Kreiser, on the occasion of the exhibition at Galerie#23 Langenberg in August 2019


All your sculptures are made from sections of steel pipes. Why, what is important to you about that?

When I started dividing pipes into segments and cutting them open, I wasn't at all sure if this reassembling of different parts wouldn't quickly run out of steam. I didn't know if the mismatched puzzle pieces would even create an interesting picture. Every tiny surface of such a pipe piece is, depending on how you look at it, either curved inward or outward. A very banal thing actually, but I remembered a statement by Rodin, who said that every sculpture is a sequence of concave and convex shapes. Rodin, at the end of the 19th century, couldn't imagine that a cube could already be a fully-fledged sculpture. I always liked minimalism very much, but it simply didn't allow for complex shapes. But I was interested in complex shapes. With the pipes, I had found a way to develop shapes that surprised me with simple means.

When you talk about shapes, do you primarily mean abstract shapes?

Yes, often. But I believe we don't know what abstract shapes are. Actually, we only know what concrete geometric shapes are, like cuboids, cylinders, spheres. Otherwise, we speak in terms of reference: drop shape, cone shape, mushroom shape, crystal shape, etc. Shapes quickly become confusing. If a sphere is slightly squished into a kind of egg, we can only describe it poorly. Maybe one would call it an amorphous shape and with that, at the latest, realize that one lacks the terms altogether. There are more shapes than terms, more strange things than understanding for them.

Does this mean you're working on your own vocabulary of shapes?

No, not really. The pipe pieces are also a kind of restriction. They somehow remain related, remain in a certain sound. I like that in "Tintinnabulum" there is a symmetry, even the object of a bell is discernible, and in "Spiel," then, at a certain point, this rib-like thing reappears. Nevertheless, these two things as shapes are quite far apart.

Okay, you make symmetrical and asymmetrical shapes, that entertains you. Why is that important today?

(laughs) Yes, it entertains me. I think that's a legitimate, important reason. No, my feeling is that such works currently don't seem really important to anyone. There's a lot of art that follows concepts or designs entire spaces. A small form on a pedestal is pretty old-school. But personally, I believe in a charge of material. If every square millimeter has been worked over and over, there are two possible outcomes. Either something is kissed dead or it has been truly transformed into a new meaning. Both have happened to me, anyway.

I don't quite understand. Successful shapes for you are those that have a concrete meaning?

That's actually difficult. For most people, sculpture means the bronze figure on a pedestal in the park. They ask themselves about space when they're looking for a parking spot. They ask themselves about material when they're buying underwear that feels good on the skin, and they ask themselves about shape when, as a couple, they discuss a sofa. For me as a sculptor, space, material, and form are most interesting when it's about achieving a poetic quality. With a poem, from twenty-five words, which everyone usually knows, through the right arrangement, a sequence of thoughts is created that carries much further than one would usually credit twenty-five words with. That's what I'm looking for with a shape. To assemble twenty-five pipe pieces in such a way that an observer looks and gives themselves over to a notion.

There's this work "What Has Happened So Far" where a text is underlaid, what's the story with that?

I experimented with that before. With "What Has Happened So Far," it came about when I wanted to determine the color of the column form through tempering colors, that I suddenly had this bronze tone in front of me, like you know it from lanterns or coffin handles in the shop window of the funeral home. Then this inner monologue developed and the presentation with the bedside table somehow almost happened on its own. If you don't understand figuration exclusively as a representation of humans, but count the reference to the human to figuration, this would be, so to speak, a figurative work. But I don't insist on that. I just want to make it clear that the description "makes abstract shapes" is not enough.
There were many formal rules, for example, that in sculpture, only the object matters. That has dissolved, today it's possible for a literary text to be part of an artwork. Or as you nicely remarked, it entertains me. If I get a story, I tell it.

That applies to the titles too, if I understand correctly, right?

With titles, you can do a lot wrong. You lay a trail.

A trail leading to meaning?

You can't and shouldn't take away people's looking and pondering. Every artwork is just a non-binding offer, there's nothing to sue for, not even meanings. If I release something from the studio, I believe that a sculpture has enough qualities that it's worth engaging with. I want to present a well-rounded thing.

A well-rounded thing that sometimes comes across as rough.

A convincing thing, because an attitude becomes clear.

That's right. Thank you very much.